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Deutschland: die neuen Montagsdemonstrationen
Por Miriam Bader (Canal Mundo, 24/08/2004)
 
 

Im Osten Deutschlands lebt eine alte Tradition auf. 1989 demonstrierten die Bürger der DDR ihre Unzufriedenheit mit dem Staat und forderten grundlegende Reformen. Diese Proteste waren mit einer der bewegenden Gründe für den Fall der Mauer und der Auflösung des DDR-Staates. Ähnlich wie damals, von grosser Presseaufmerksamkeit begleitet, Woche um Woche zahlreicher an Teilnehmern und inzwischen auf nahezu alle ostdeutschen Städte übergreifend: die Montagsdemonstrationen. Mit der unvergessenen Parole „Wir sind das Volk“, Symbol des friedlichen Aufstandes der Bürger, wird auch in diesen Tagen wieder, bei diesen Kundgebungen die Regierung ermahnt, auf das Volk zu hören.

Heute, 15 Jahre später, gehen die Menschen wieder auf die Strasse, inzwischen nicht mehr DDR-Bürger, sondern Ostdeutsche, um gegen den Staat zu demonstrieren, diesesmal nicht gegen den der DDR, sondern den der BRD. Auch diesesmal ist der Protest ein Aufbegehren der Bürger, welches nicht an Parteien oder Gewerkschaften gebunden ist. Doch anders als damals fordern sie nicht grundlegende Reformen, sondern den sofortigen Stopp der von Schröders Regierung in die Wege geleiteten Reformen des Sozialstaates. Die Bedrohung in diesen Tagen ist nicht wie damals der gesamte Staatsapparat. Das Unheil, das die Bürger heute bedroht findet seinen Namen in "HArtz IV", die Arbeitsmarkt-Reform, welche aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe besteht und von vielen gleichgesetzt wird mit sozialem Abstieg, Armut und der Bankrotterklärung des bundesrepublikanischen Sozialstaates.

Der Vergleich mit den Demonstrationen 1989 hinkt, zugegebenermassen. Ausser dem selben Tag und der zur Schau gestellten Unzufriedenheit der Bürger haben die heutigen Kundgebungen wenig mit denen gemein, die im September 1989 die Menschen der DDR auf die Strasse brachten. Denn diese fanden unter den Bedingunen eines undemokratischen, totalitären Systemes statt und die Menschen begaben sich damals in Gefahr, ernste Repressalien von Seiten der Staatsgewalt zu erfahren. Heute hingegen handelt es sich um den Protest gegen demokratisch beschlossene Reformen, was einen völlig anderen Sachverhalt darstellt. Dennoch, er offenbart den grossen Unmut und die Stimmungslage, in der sich viele Menschen im Osten befinden.

Die deutsche Regierung reagiert verunsichert angesichts der so zahlreichen Teilnahme im Osten an den Demonstrationen, die gegen Hartz IV stattfinden. Schuld soll die schlechte Vermittlung des Reformkonzeptes sein. Durch den nun aufkommenden Streit zwischen den Parteien, dass Hartz IV nicht vertretbar sei aus den verschiedensten Gründen, erschwert es sich Akzeptanz für die Reformpolitik zu finden. Dabei haben die Parteien im Bundesrat mehrheitlich für die Verabschiedung der Reform gestimmt. Erstaunen zeigt auch ein nicht geringer Teil der Regierung, dass ausgerechnet im Osten ihre Änderungen im Sozialstaat breite Ablehnung, Frustration und Angst vor der Zukunft erzeugen.

Schaut man auf die Arbeitslosenquote, die in den neuen Bundesländern durchschnittlich bei rund 18% der Bevölkerung liegt, in den alten hingegen unter 10%, wird deutlich, dass von den Hartzreformen die Menschen im Osten weit mehr betroffen sind, als die im Westen. Die Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern kein ist neues Phänomen, sondern besteht schon seit der Wiedervereinigung in Folge der Umstrukturierung der Wirtschaft im Osten.

Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war ein langersehntes Ziel aller Deutschen, doch im Osten hegten viele die Hoffnung, neben Freiheit und demokratische Rechte, auch bald einen ähnlichen Lebensstandard wie die Bundesbürger führen zu können. Die Regierung des Ex-Kanzlers Helmut Kohl förderte diese Erwartungen, indem sie das Versprechen abgab, dass die Bewohner der ehemaligen DDR schon bald so leben könnten wie die Menschen im Westen. Dass dieses Versprechen niemals haltbar war, wurde manchen erst klar, nach den vielen Massenentlassungen im Osten, begleitet von der kompletten Stilllegung der Ostindustrie.

Wer den Arbeitsplatz verloren hatte, wurde meist in sogenannte Arbeitsbeschaffungsmassnahmen gesteckt, die aus allgemeinnütziger Arbeit bestanden, oder aus Weiterbildungskursen. Doch die wenigsten erhielten wieder einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder eine Einstellung, die ihrer Qualifikation entsprach. So endeten viele im Laufe der Zeit in der Langzeitsarbeitslosigkeit mit geringer Aussicht auf einen neuen Job. Genau die Langzeitarbeitslosen sind es, die jetzt von Hartz IV am stärksten betroffen sind. Im Osten machen sie mehr als 40% der Arbeitslosen aus.

Auch wenn wenig produktiv, in der DDR herrschte Vollbeschäftigung. Die Möglichkeit den Arbeitsplatz verlieren zu können ist für die Bewohner der Ex-DDR eine völlig neue Erfahrung. Viele, die vom Arbeitsplatzverlust betroffen waren oder sind, bezeichnen die Folgen der Wiedervereinigung deshalb nicht als grossen Freiheitsgewinn, sondern als einen Verlust der sozialen Sicherheit. Die schlechte Wirtschaftslage der letzten Jahre und die Stagnation des Wachstums führten dazu, dass die soziale Kluft zwischen Ost und West immer noch im gleichen Masse besteht und bis jetzt ist von den "blühenden Landschaften", die Ex-Kanzler Kohl 1990 versprach wenig zu sehen.

Indikator für die schlechte Lage ist nicht nur die doppelt so hohe Arbeitslosenquote in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland, sondern auch die Flucht der jüngeren Generation in den Westen. Manche Dörfer im Osten wirken wie ausgestorben und man sieht nur noch ältere Menschen auf der Strasse. Gerade aber die junge Generation, die Tatkräftigen und Kreativen, werden zum Aufbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern gebraucht. Ihre Abwanderung hat fatale Konsequenzen.

Unter den gegebenen Bedingungen erscheinen sie Sozialreformen für viele Bürger im Osten nur noch als eine Verstärkung ihres sozialen Niederganges und sie fühlen sich von der Regierung in Berlin betrogen.

Dies macht deutlich, dass die Proteste gegen Hartz IV eigentlich eher ein Ventil sind für eine Gefühlslage, in der sich Ostdeutsche schon seit langer Zeit befinden, nämlich immer mehr ins soziale Abseits zu geraten.

Die Politiker haben es schwer unter diesen Umständen, die Notwendigkeit der Reformen verständlich zu machen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Reformen des deutschen Arbeitsmarktes dringend durchgeführt werden müssen, doch bitter ist es in der momentanen Situation, dass sie in erster Linie nur die Schwachen treffen. Im Januar 2005 tritt Hartz IV in Kraft, gleichzeitig wird der Spitzensteuersatz um 3% von 45% auf 42% gesenkt. Kein glückliches Zusammentreffen, denn für die Schwachen gibt es ab diesem Moment weniger, für die Spitzenverdiener mehr.

Etwas weiteres lässt sich auch nicht von der Hand weisen: Die Hartz-Reform geht davon aus, dass den Arbeitslosen der Anreiz fehlt, Arbeit zu suchen und dass sich durch die Verstärkung des Drucks mehr Bereitschaft fände. Doch Tatsache vorallem in Ostdeutschland ist, dass Arbeitsplätze schlichtweg fehlen. Wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, die keine Zwischenlösung oder Arbeitsbeschaffungsmassnahme bedeuten, geriet in den letzten Wochen durch die "Hartz-Querelen" deutlich in den Hintergrund. Und so fehlt dem stärksten Einschnitt in den Sozialstaat seit Bestehen der BRD eine positive Komponente, die einen Weg aus der Arbeitslosigkeit aufzeigt und bei den Menschen Einsicht aber auch Hoffnung verschafft. Hartz IV wird deshalb in den nächsten Wochen noch viele Bürger in Ostdeutschland auf die Strasse bringen.

Auch wenn der Vergleich der heutigen Proteste mit den Montagsdemonstrationen von 1989 nicht genau treffend sind, eines zeigen sie deutlich: Die Wiedervereinigung der beiden Teilstaaten in eine gemeinsame Bundesrepublik ist nach 15 Jahren noch längst nicht vollzogen. Und leider wird sie immer mehr begleitet von einer tiefen Unzufriedenheit, einem mangelnden Vertrauen in die deutsche Wirtschaft und einer unterschwelligen Stimmung, dass früher alles besser war. Doch dass alles so leicht werden würde, hat das tatsächlich jemand geglaubt?

 
 

Miriam Bader é estudiante da Universidade de Paderborn-Alemania en prácticas no IGADI.

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